Deutschlands Wirtschaft in der Krise
München – Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, schlägt Alarm: Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einer historischen Schieflage. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur warnte Fuest vor einem „anhaltenden wirtschaftlichen Absturz“ und forderte eine umfassende Reformagenda, um den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Ein Jahrzehnt des Rückgangs: Deutschlands Wirtschaft stagniert
Nach Angaben des Ifo-Instituts befindet sich die Bundesrepublik seit mehreren Jahren in einem strukturellen Niedergang. Während sich andere europäische Volkswirtschaften wie Frankreich und Spanien nach der Corona-Pandemie erholt haben, bleibt Deutschland zurück. „Wir haben es mit einem gefährlichen Mix aus hohen Energiekosten, wachsender Bürokratie und einem Investitionsstau zu tun“, so Fuest.
Die Daten sprechen für sich: Das Bruttoinlandsprodukt stagniert seit drei Quartalen, die Industrieproduktion liegt 15 Prozent unter dem Niveau von 2019, und die Zahl der Insolvenzen steigt rapide an. Besonders betroffen sind die energieintensiven Branchen wie Chemie, Stahl und Automobilbau.
„Das Geschäftsmodell Deutschland wankt“
Fuest kritisiert, dass die Bundesregierung zu lange auf kurzfristige Krisenmaßnahmen gesetzt habe, anstatt strukturelle Probleme anzugehen. „Das Geschäftsmodell Deutschland, das jahrzehntelang auf billiger Energie, starken Exporten und politischer Stabilität beruhte, funktioniert so nicht mehr“, erklärte er. Der Ökonom fordert daher ein „Modernisierungspaket“, das vor allem auf Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung setzt.
Nach Einschätzung des Ifo-Instituts könnten gezielte Reformen die deutsche Wirtschaftsleistung um bis zu 4 Prozent innerhalb von fünf Jahren steigern. Voraussetzung dafür sei jedoch ein Abbau der Überregulierung und eine steuerliche Entlastung der Unternehmen.
Reformen jetzt oder nie – Ifo-Chef Fuest fordert Regierung zum Handeln auf
Fuest appelliert an die Bundesregierung, innerhalb der nächsten sechs Monate eine umfassende Reformstrategie vorzulegen. Diese müsse über die Vereinbarungen des aktuellen Ampel-Koalitionsvertrages hinausgehen und „grundlegende Weichenstellungen“ enthalten. „Wir können es uns nicht mehr leisten, nur zu verwalten – wir müssen gestalten“, so der Ifo-Präsident.
Er schlägt vor, den Bürokratieabbau in den Mittelpunkt zu stellen. Laut Berechnungen des Instituts könnten allein durch die Abschaffung überflüssiger Dokumentationspflichten bei Emissionen, Lieferketten und Arbeitszeiten rund 146 Milliarden Euro an zusätzlichem Wohlstand pro Jahr generiert werden.
Soziale Balance und Rentenreform
Besonders kritisch sieht Fuest die Sozialausgaben, die einen immer größeren Teil des Bundeshaushalts ausmachen. „Wir müssen den Mut haben, über Tabuthemen zu sprechen“, sagt er mit Blick auf das sogenannte „Mütterrente“-Modell. Statt immer neue Leistungen zu finanzieren, solle die Regierung das Ziel verfolgen, die Sozialbeiträge langfristig zu stabilisieren, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Unternehmen klagen über Energiepreise und Standortflucht
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt vor einem gefährlichen Trend: Immer mehr Mittelständler verlagern ihre Produktion ins Ausland. Laut einer aktuellen Umfrage planen 37 Prozent der befragten Unternehmen Investitionen außerhalb Deutschlands – vor allem in Osteuropa, den USA und Asien. Der Hauptgrund: die hohen Energiekosten.
Ein Beispiel ist die chemische Industrie: Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) berichtet, dass der Gaspreis in Deutschland weiterhin doppelt so hoch ist wie in den USA. „Das ist ein massiver Standortnachteil“, so VCI-Präsident Markus Steilemann. Er fordert eine Senkung der Stromsteuer und langfristige Preisgarantien für Industriekunden.
Investitionsstau bedroht die Zukunft
Seit Jahren kritisieren Experten den mangelnden Investitionswillen in Deutschland. Öffentliche Infrastrukturprojekte verzögern sich, die Bahn steckt in der Krise, und viele Kommunen kämpfen mit einem Investitionsrückstand von über 150 Milliarden Euro. Das Ifo-Institut fordert deshalb eine „Reformoffensive für die Zukunft“, die auch private Investoren motiviert.
„Wenn wir nicht bald handeln, werden wir das nächste Jahrzehnt verlieren“, warnt Fuest. Eine solche Entwicklung hätte laut Institut dramatische Folgen: sinkende Einkommen, steigende Arbeitslosigkeit und ein wachsender Rückstand gegenüber dynamischen Volkswirtschaften wie den USA oder Polen.
Die Rolle der EZB und Inflation
Auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Zwar hat sich die Inflation zuletzt abgeschwächt, doch die Zinsen bleiben hoch. Das belastet insbesondere den Immobiliensektor, in dem Bauunternehmen reihenweise in die Insolvenz gehen. Der Ifo-Präsident fordert eine abgestimmte europäische Wirtschaftspolitik, um Investitionen zu fördern und Preisdruck zu mindern.
Ausblick: Deutschland zwischen Reform und Stillstand
Das Fazit des Ifo-Instituts fällt eindeutig aus: Ohne einen radikalen Kurswechsel droht Deutschland eine Dekade des Stillstands. Doch es gibt auch Hoffnung – laut Fuest verfügt das Land über enorme Potenziale in den Bereichen Technologie, Forschung und Bildung. „Wenn wir die richtigen Anreize setzen, kann Deutschland wieder zu alter Stärke zurückfinden“, betont er.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Bundesregierung den Appell der Ökonomen ernst nimmt – oder ob Deutschland weiterhin auf den Abwärtspfad zusteuert.
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