Türkischer Einfluss in Gaza – Ein strategisches Risiko für Israel
Die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth berichtete am Samstag unter Berufung auf Forscher des Institute for National Security Studies (INSS), dass die Rolle des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Gazastreifen in der kommenden Phase „zum Albtraum für Israel“ werden könnte.
Dem Bericht zufolge lehnte Israel von Beginn des Konflikts an eine Beteiligung der Türkei an Verhandlungen oder Vereinbarungen über Gaza strikt ab, insbesondere nachdem Erdoğan Israels Premierminister Benjamin Netanjahu als „Hitler der Gegenwart“ bezeichnet und dem Land Völkermord vorgeworfen hatte.
Veränderte Dynamik in den letzten Wochen
In den letzten Wochen hat sich das Bild jedoch geändert, und die Türkei wurde zu einem zentralen Akteur in den Gesprächen, die zu einer Waffenruhe führten. Die israelischen Experten Rami Daniel und Galia Lindenstrauss betonen, dass die türkische Rhetorik gegenüber Israel sich nicht verändert habe – sie sei eher verschärft worden.
Lindenstrauss erklärt, dass der US-Präsident Donald Trump Erdoğan als „Führer sieht, der den Nahen Osten wieder stabilisieren kann“ und deshalb auf ihn bei der Umsetzung des Plans für den „Tag danach“ in Gaza setzt. Die gute Beziehung zwischen Ankara und Washington unterstütze diesen Ansatz.
Strategische Risiken für Israel
Die israelische Seite äußert erhebliche Bedenken: Die Beteiligung der Türkei an den Nachkriegsarrangements sei äußerst besorgniserregend, da Ankara ein offen feindlicher Akteur gegenüber Israel sei. Ihre Präsenz im Gazastreifen stehe im Widerspruch zu Israels Kerninteressen.
Lindenstrauss weist darauf hin, dass die Türkei über militärische und organisatorische Kapazitäten verfüge, die sie zu einem einflussreichen Akteur in jeglicher Überwachungs- oder Friedensmission machen könnten. Gerade dies erhöhe jedoch das Risiko: Die Nähe türkischer Truppen zu israelischen Einheiten könnte zu Vorfällen führen, die eine diplomatische oder militärische Krise auslösen.
Trump und Erdoğan: Eine strategische Allianz
Trump, der den Nahen Osten bevorzugt über Beziehungen zu starken Führern verwaltet, habe Erdoğan die Möglichkeit gegeben, sich wieder als Hauptakteur in Gaza zu etablieren – eine Rolle, die ihm seit 2010 nach der Mavi-Marmara-Krise verwehrt war.
Für Ankara ist dies eine historische Gelegenheit, die eigene Position in der Region nach Jahren der Isolation wiederherzustellen und die Fähigkeit zu demonstrieren, zentrale arabische Themen, insbesondere die palästinensische Frage, politisch zu beeinflussen.
Der strategische Wandel
Daniel beschreibt die türkische Intervention als entscheidende Wende. Anfangs war Ankara nicht Teil der Vermittlung, strebte jedoch beharrlich an, eine Schlüsselrolle zu übernehmen. In den letzten Jahren hatte die Türkei Gaza große Mengen humanitärer Hilfe geleistet und durch Erdoğans anti-israelische Rhetorik versucht, eine islamische Achse zu bilden, die die Palästinenser unterstützt. Erst jetzt eröffnet sich die Möglichkeit, daraus realen Einfluss zu gewinnen.
Er betont, dass Erdoğan in Trumps Plan eine „goldene Gelegenheit“ sehe, seine regionale Rolle zu festigen. Allerdings habe er seine politische Haltung gegenüber der Hamas nicht geändert, sondern werde ihre politische Legitimität wahren, was die Umsetzung der zweiten Phase der Vereinbarung erschwert.
Ein strategischer Albtraum
Die israelische Sicherheitsbehörde betrachtet die türkische Präsenz in Gaza als „strategischen Albtraum“. Die Befürchtung ist, dass die türkische Beteiligung die operative Freiheit der israelischen Armee einschränken und im Falle eines Vorfalls zu direkten Konfrontationen führen könnte.
Politisch kommt hinzu, dass Ankara der Hamas in künftigen Vereinbarungen Einfluss gewähren könnte, während Israel, Ägypten und die VAE das Gegenteil anstreben. Daniel merkt an, dass die Mehrheit der regionalen Staaten eher Israels Position unterstütze, die Türkei aber eine Ausnahme bildet – und derzeit mächtig sei.
Regionale Implikationen
Die Sorge Israels beschränkt sich nicht auf Gaza. Lindenstrauss erklärt, dass der wachsende türkische Einfluss in Syrien und der relative Rückgang des iranischen Einflusses Ankara zum aufstrebenden regionalen Akteur machen, der in mehreren Bereichen mit Israel konkurrieren könnte. Deshalb wurde eine direkte Kommunikationslinie zwischen türkischem und israelischem Militär eingerichtet, um Zwischenfälle in syrischem Luftraum zu vermeiden.
Die türkische Medienberichterstattung spricht von einem „diplomatischen Sieg“, da Erdoğan sich als Verteidiger der palästinensischen Sache und Partner bei den Waffenruhe-Vereinbarungen positionieren konnte, nachdem er jahrelang marginalisiert war.
Langfristige Strategie
Israelische Experten warnen, dass die Türkei versuchen wird, ihre Präsenz durch Überwachungs- und Wiederaufbauprojekte dauerhaft zu sichern. Dies verschafft Ankara langfristigen Einfluss, den Israel schwer akzeptieren kann. Jeder Zwischenfall zwischen türkischen und israelischen Truppen könnte zu einer erheblichen diplomatischen Krise führen.
Die aktuelle Lage unterstreicht die Komplexität der regionalen Machtbalance und die Herausforderungen, die Israel in der Zusammenarbeit mit einem starken, aber teilweise feindlichen regionalen Akteur bewältigen muss. Die strategische Dynamik in Gaza, Syrien und im weiteren Nahen Osten ist daher derzeit besonders instabil.




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