Polens Premier Tusk drängt auf schnelle NS-Entschädigungen

Berlin/Warschau – Angesichts des hohen Alters der noch lebenden Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg fordert Polens Ministerpräsident Donald Tusk eine zügige Unterstützung durch die Bundesregierung. Nach einem Treffen mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Rahmen der 17. deutsch-polnischen Regierungskonsultationen appellierte Tusk: „Beeilt euch, wenn ihr diese Geste wirklich machen wollt.“

Sinkende Zahl der Überlebenden verstärkt Dringlichkeit

Tusk wies darauf hin, dass die Zahl der noch lebenden Opfer des NS-Terrors in Polen stetig abnehme. Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Juli 2024 Unterstützung zugesagt hatte, gab die Stiftung für deutsch-polnische Aussöhnung noch rund 60.000 lebende Opfer an; mittlerweile seien es nur noch etwa 50.000. Tusk erklärte: „Wenn wir hier nicht bald eine eindeutige und schnelle Erklärung bekommen, erwäge ich, im kommenden Jahr die Entscheidung zu treffen, dass Polen diese Bedürfnisse aus eigenen Mitteln befriedigt.“ Weitere Details wollte er zunächst nicht nennen.

Scholz hatte bereits Mittel zugesagt

Im vergangenen Jahr hatte Scholz im Rahmen bilateraler Gespräche eine Summe von rund 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt, um die noch lebenden Opfer der deutschen Besatzung zu entschädigen. Dies umfasst sowohl direkte finanzielle Hilfen als auch soziale Unterstützungsleistungen. Rechtliche Fragen erschweren jedoch die Umsetzung, da auch andere Länder wie Griechenland mögliche Entschädigungen für erlittene Schäden fordern.

Dauerhaftes Thema in bilateralen Beziehungen

Die Auseinandersetzung mit den Folgen der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg ist seit Jahrzehnten ein zentrales Thema in den deutsch-polnischen Beziehungen. Neben den direkten Entschädigungen für NS-Opfer stehen weiterhin polnische Reparationsforderungen in Billionenhöhe im Raum, die die wirtschaftlichen und materiellen Schäden der damaligen Besatzungszeit betreffen.

Politische Hintergründe und Reaktionen

Die Forderungen Polens wurden zuletzt im September während eines Antrittsbesuchs des polnischen Präsidenten Karol Nawrocki in Berlin erhoben. Bundeskanzler Merz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wiesen die Reparationsforderungen damals zurück, betonten jedoch die Wichtigkeit der Erinnerungskultur und der Entschädigung der Überlebenden.

Rechtsexperten weisen darauf hin, dass die Thematik juristisch komplex ist: Während Entschädigungen für individuelle Opfer relativ klar geregelt werden können, stellt die Forderung nach staatlichen Reparationen an Deutschland aufgrund internationaler Verträge und Abkommen ein sensibles diplomatisches Thema dar.

Gesellschaftliche Perspektive

Viele Historiker und zivilgesellschaftliche Organisationen in Polen sehen in der schnellen Auszahlung der Entschädigungen eine moralische Pflicht. „Jeder Monat Verzögerung bedeutet, dass wertvolle Zeit mit den letzten noch lebenden Opfern verloren geht“, erklärt Klara Nowak von der Stiftung für deutsch-polnische Aussöhnung. Die Unterstützung solle sowohl materielle Hilfe als auch psychologische Betreuung umfassen.

Reaktionen in Deutschland

In Berlin reagierte die Bundesregierung zurückhaltend, betonte aber die Notwendigkeit, die bilateralen Beziehungen nicht zu belasten. Offizielle Stellen wiesen auf die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen hin, die auch andere europäische Staaten betreffen könnten, und verwiesen auf laufende Gespräche zwischen beiden Regierungen.

Weitere Spannungsfelder

Neben den Entschädigungen für NS-Opfer belastet weiterhin das Thema polnischer Reparationsforderungen die deutsch-polnischen Beziehungen. Während Polen eine Neubewertung der Schäden fordert, verweist Deutschland auf die bereits geleisteten Zahlungen und Vereinbarungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Historische Verantwortung und Versöhnung

Beide Seiten betonen die Bedeutung der historischen Verantwortung: Die deutsche Regierung erkennt die Verbrechen der Besatzungszeit an und unterstreicht die Wichtigkeit der Erinnerungskultur. Polen fordert jedoch, dass die moralische Verantwortung in konkrete Hilfsleistungen für die noch lebenden Opfer umgesetzt wird, bevor es zu spät ist.

Ausblick

Obwohl die Gespräche bisher noch keine endgültige Lösung gebracht haben, zeigte sich Tusk entschlossen, die Interessen Polens durchzusetzen. Eine schnelle Einigung gilt als entscheidend, da die Zahl der Überlebenden weiter abnimmt und die gesellschaftliche Erwartung nach Gerechtigkeit wächst. Experten sehen die kommenden Monate als entscheidend für die bilaterale Zusammenarbeit und die Erfüllung der moralischen Verpflichtungen Deutschlands gegenüber den NS-Opfern in Polen.

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