Nexperia-Krise: Niederlande übernehmen Kontrolle
Amsterdam – Die jüngste Entscheidung der niederländischen Regierung, die Kontrolle über den Halbleiterhersteller Nexperia zu übernehmen, hat ein geopolitisches Beben ausgelöst. Zwischen Den Haag, Peking und den großen europäischen Autokonzernen tobt ein Machtkampf, der weit über wirtschaftliche Interessen hinausgeht. Es geht um technologische Souveränität, Industriesicherheit und den Kampf um die Kontrolle über die globale Chipproduktion.
Von Philips zu Nexperia – die historische Wurzel eines Tech-Giganten
Die Wurzeln von Nexperia reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück, als Mullard in London und Valvo in Hamburg gegründet wurden. Beide Unternehmen wurden später Teil des niederländischen Elektronikkonzerns Philips. In den 1950er- und 1960er-Jahren begann Philips in Nijmegen, feinste Halbleiterkomponenten zu entwickeln und produzieren – darunter das bis heute bekannte SOT23-Gehäuse (1969), das weltweit Maßstäbe in der Elektronik setzte.
In den 1980er- und 1990er-Jahren expandierte Philips massiv nach Asien – mit Fabriken auf den Philippinen, in Malaysia und China. 2006 wurde der Halbleiterbereich als NXP Semiconductors ausgegliedert, ehe 2017 daraus der heutige Konzern Nexperia hervorging.
Chinesische Übernahme und globale Spannungen
2019 übernahm das chinesische Technologieunternehmen Wingtech – teils im Besitz der chinesischen Regierung – den niederländischen Hersteller. Damit rückte Nexperia ins Zentrum des globalen Machtkampfs zwischen China, Europa und den USA um technologische Vorherrschaft. Die Chips des Unternehmens werden in Deutschland und Großbritannien gefertigt, bevor sie in China geschnitten, verpackt und in über 110 Milliarden Einheiten jährlich ausgeliefert werden.
Diese Bauteile sind das Rückgrat der globalen Elektronikindustrie – von Smartphones über Konsumgeräte bis hin zu Elektroautos. Volkswagen und Mercedes-Benz zählen zu den größten Abnehmern.
Regierung greift durch – die Niederlande aktivieren ein Notgesetz
Am 30. September 2025 aktivierte die niederländische Regierung den selten genutzten “Goods Availability Act” – ein Gesetz aus der Zeit des Kalten Kriegs. Damit übernahm Den Haag faktisch die Kontrolle über Nexperia. Der Schritt sei notwendig, so die Regierung, um „die nationale Sicherheit und das industrielle Know-how“ zu schützen.
Gleichzeitig suspendierte ein niederländisches Gericht den CEO Chang Xuezheng – Gründer von Wingtech – wegen „schwerer Governance-Mängel“. Die Entscheidung markierte den Beginn einer diplomatischen Krise, die nun die europäische Industrie in Bedrängnis bringt.
China reagiert mit Exportverboten
Nur vier Tage später reagierte Peking mit harten Gegenmaßnahmen. Am 4. Oktober 2025 kündigte das chinesische Handelsministerium Exportbeschränkungen für Nexperia-Produkte an, die in China gefertigt werden. Damit wurde die Versorgung europäischer Fabriken schlagartig gestört.
Der Produktionsstopp im Nexperia-Werk im südchinesischen Dongguan traf besonders die Automobilbranche. Laut Reuters-Berichten warnte Volkswagen, dass der Mangel an Halbleitern „die Fahrzeugproduktion in Europa innerhalb weniger Wochen gefährden könnte“.
Die Bedeutung der Nexperia-Chips für die Autoindustrie
Nexperia produziert jährlich Milliarden von Transistoren, Dioden und Energieverwaltungschips – Komponenten, die essenziell für alle modernen Fahrzeuge sind. In Elektroautos regeln sie Batterieverbindungen, Bremsen, Airbags und Sensoren. Selbst kleine Lieferausfälle können Produktionsketten lahmlegen.
Schätzungen zufolge werden rund 70 % der in den Niederlanden hergestellten Chips zur Weiterverarbeitung nach China geschickt. Diese Abhängigkeit zeigt, wie stark Europa auf asiatische Lieferketten angewiesen bleibt – trotz politischer Rufe nach „technologischer Unabhängigkeit“.
Produktion im Stillstand – weltweite Folgen
Die Automobilkonzerne spüren die Folgen bereits. Honda stoppte Werke in Kanada und halbierte die Produktion in Mexiko. Ford und General Motors meldeten ähnliche Engpässe. In Deutschland warnte die VDA (Verband der Automobilindustrie) vor „einer ernsten Unterbrechung der europäischen Lieferketten“.
Auch Mercedes-Benz erklärte, dass ihre kurzfristigen Bestände „nur noch für wenige Wochen“ ausreichen würden. Volkswagen betonte, man könne „die Jahresziele 2025 nur halten, wenn sich die Situation rasch stabilisiert“.
Amerikanische Vermittlung – Hoffnung oder Illusion?
Die Vereinigten Staaten traten inzwischen als Vermittler auf. Medienberichte deuten darauf hin, dass Präsident Donald Trump während des Gipfels mit Chinas Präsident Xi Jinping in Seoul eine teilweise Freigabe chinesischer Nexperia-Exporte ausgehandelt habe. Laut dem US-Sender CNBC könnte damit ein „begrenzter Warenfluss“ nach Europa wieder ermöglicht werden.
Das chinesische Handelsministerium bestätigte, dass „einige Ausnahmen“ für ausgewählte Produkte geprüft würden. Man wolle den „globalen Lieferkettenfluss aufrechterhalten“. Doch Beobachter sehen darin eher einen taktischen Schachzug, um Zeit zu gewinnen.
Industriepolitik am Wendepunkt
Die Nexperia-Affäre zeigt, wie gefährlich Europas Abhängigkeit von Asien im Technologiebereich ist. Während China seine Kontrolle über Schlüsselindustrien stärkt, steckt Europa in regulatorischen Debatten fest. Der Eingriff Den Haags ist ein Präzedenzfall – ein symbolischer Versuch, die technologische Souveränität zurückzuerlangen.
Doch Experten warnen: Nationale Übernahmen lösen das Problem nicht. Ohne massive Investitionen in Forschung, Produktion und Bildung bleibt Europa auf Zulieferer aus Asien angewiesen. Die EU-Kommission plant nun, den sogenannten “European Chips Act” zu verschärfen und die lokale Halbleiterproduktion um 30 % zu steigern.
Folgen für Volkswagen, Mercedes und Porsche
Für Deutschlands Autohersteller ist die Situation kritisch. Volkswagen musste bereits Schichten in Zwickau streichen, Mercedes-Benz meldete Gewinneinbrüche im dritten Quartal 2025, und Porsche stoppte Teile der Elektroproduktion.
Analysten rechnen mit langfristigen Folgen für Europas Automarkt, sollte der Chipfluss aus China dauerhaft gestört bleiben. Denn Ersatzquellen in Taiwan oder den USA können den Ausfall nur teilweise kompensieren.
Ein globaler Machtkampf in Miniatur
Am Ende geht es nicht nur um Mikrochips – sondern um Macht. Nexperia ist ein Symbol dafür, wie tief verflochten Wirtschaft und Geopolitik geworden sind. Jede Schraube, jedes Bauteil ist heute Teil eines globalen Spannungsfelds zwischen Ost und West. Der niederländische Eingriff mag kurzfristig ein Sicherheitsgewinn sein – doch langfristig droht Europa, zwischen den Fronten der Supermächte zerrieben zu werden.
Fazit: Der Konflikt um Nexperia als Weckruf für Europa
Die Krise um Nexperia ist mehr als ein wirtschaftlicher Vorfall – sie ist ein Weckruf. Europa muss seine industrielle Basis verteidigen, seine Lieferketten diversifizieren und seine strategische Autonomie ernst nehmen. Nur dann kann der Kontinent seine Rolle als globaler Technologiestandort behaupten – ohne von politischen Erdbeben in Peking oder Washington abhängig zu sein.
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