Geheimdienst vor Zeitenwende: BND soll künftig aktiv eingreifen

Berlin. Deutschlands Sicherheitsarchitektur steht offenbar vor einem historischen Umbruch. Medienberichten zufolge plant die Bundesregierung eine tiefgreifende Reform des Bundesnachrichtendienstes (BND), die dem Auslandsgeheimdienst erstmals operative Eingriffe erlauben könnte. Damit würde der BND über seine bisherige Rolle als reiner Informationssammler hinauswachsen.

Auslöser sind zunehmende hybride Bedrohungen, Cyberangriffe sowie geopolitische Spannungen, die Deutschland und seine Verbündeten immer stärker unter Druck setzen.

Vom Analysten zum Akteur

Nach Recherchen von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung arbeitet das Bundeskanzleramt an einem Gesetzentwurf, der dem BND im Ernstfall aktive Maßnahmen gestattet. Dazu sollen auch verdeckte Operationen gehören, mit denen gegnerische Strukturen gezielt geschwächt werden können.

Bislang war der deutsche Auslandsgeheimdienst strikt auf das Sammeln, Auswerten und Weiterleiten von Informationen beschränkt. Militärische oder operative Handlungen galten als klare rote Linie. Diese Trennung könnte nun aufgeweicht werden.

Der besondere nachrichtendienstliche Zustand

Zentrales Element der Reform ist die Einführung eines sogenannten „besonderen nachrichtendienstlichen Zustands“. Dieser soll ausgerufen werden können, wenn eine außergewöhnliche Bedrohung für Deutschland oder seine Partner besteht.

Dazu zählen unter anderem:

  • die konkrete Vorbereitung eines militärischen Angriffs durch einen fremden Staat
  • massive Cyber- und Desinformationskampagnen
  • Angriffe auf kritische Infrastruktur

Über die Ausrufung soll ein nationaler Sicherheitsrat entscheiden. Zusätzlich wäre eine Zweidrittelmehrheit des Parlamentarischen Kontrollgremiums erforderlich – ein Novum in der deutschen Sicherheitspolitik.

Neue Mittel: Cyber, KI und verdeckte Eingriffe

Im Sonderzustand könnte der BND deutlich erweiterte Instrumente nutzen. Medienberichten zufolge gehören dazu:

  • aktive Cyber-Gegenmaßnahmen gegen feindliche Systeme
  • der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse großer Datenmengen
  • Gesichts- und Mustererkennung
  • verdeckte Zugriffe auf Wohnungen zur Installation von Überwachungstechnik
  • gezielte Manipulation technischer oder militärischer Ausrüstung

Damit würde sich der BND funktional Nachrichtendiensten wie der CIA oder dem britischen MI6 annähern.

Russland als strategischer Hintergrund

Offiziell nennt die Bundesregierung keine konkreten Staaten. In sicherheitspolitischen Kreisen gilt jedoch Russland als zentrales Bezugsszenario. Berlin sieht sich seit Jahren verstärkten Cyberangriffen, Spionageaktivitäten und hybrider Kriegsführung ausgesetzt.

Diese Diskussion steht im Zusammenhang mit weiteren europäischen Sicherheitsdebatten, etwa über russische Vermögenswerte und neue politische Strategien:

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Kritik und rechtliche Grauzonen

Juristen und Abgeordnete warnen vor einer Vermischung von geheimdienstlicher Arbeit und militärischem Handeln. Kritiker befürchten eine rechtliche Grauzone, in der demokratische Kontrolle erschwert wird.

Befürworter halten dagegen: Hybride Kriegsführung verlaufe bewusst unterhalb der klassischen Kriegsschwelle. Ein moderner Staat müsse darauf flexibel reagieren können.

Fazit: Mehr Macht, mehr Verantwortung

Sollte das Gesetz verabschiedet werden, markiert es eine sicherheitspolitische Zeitenwende. Der BND würde von einem reinen Informationsdienst zu einem aktiven Instrument staatlicher Sicherheit aufsteigen.

Für Deutschland bedeutet dies mehr Handlungsspielraum – aber auch größere politische Verantwortung und internationale Risiken.

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