Bereitet Deutschland tatsächlich die Abschiebung syrischer Flüchtlinge vor?

Zwischen Angst und Unsicherheit: Huzayfas Geschichte

Huzayfa, ein junger Syrer aus Hama, beschreibt seine tägliche Angst: „Jeden Morgen, wenn ich den Briefkasten öffne, fühle ich mich zwischen Leben und Tod.“ Er wartet auf einen besonderen Brief – den gelben Umschlag, der in der syrischen Kultur sowohl Hoffnung als auch Sorge symbolisiert. Es handelt sich dabei um einen möglichen Bescheid über eine Abschiebung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Huzayfa verließ 2020 seine Heimatstadt Hama und reiste zunächst nach Moskau, dann nach Minsk. Nach fünf gescheiterten Versuchen, die Grenze von Belarus nach Polen zu überqueren, gelang ihm beim sechsten Versuch zusammen mit sieben weiteren jungen Männern die Einreise nach Deutschland. „An der polnischen Grenze, in Frankfurt (Oder), erwartete uns die deutsche Polizei freundlich, sie gaben uns Tee und Rauch, bevor wir in eine Unterkunft in Eisenhüttenstadt gebracht wurden“, erzählt Huzayfa mit einem Schmunzeln.

Die Angst vor einer Abschiebung ist nicht nur Huzayfas Problem, sondern betrifft viele Syrer, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind. Diese Unsicherheit beeinflusst das Erlernen der Sprache, die Suche nach Arbeit und die Integration in die Gesellschaft.

Rechtliche Unterstützung und Beratungsmöglichkeiten

Die größte Flüchtlingsorganisation in Deutschland, Pro Asyl, zeigt ebenfalls Besorgnis über die mögliche Verletzung von Grundrechten. Tarik Al-Aws, Sprecher von Pro Asyl, erklärt: „Für junge Menschen wie Huzayfa gibt es viele Beratungsstellen, die sofort und kostenlos helfen – darunter Caritas, Diakonie und andere Organisationen. Sie übernehmen teilweise auch die Kosten für rechtliche Unterstützung.“

Selbst wenn ein Gericht eine Abschiebung anordnet, kann ein Anwalt Einspruch einlegen. Das Verfahren kann Jahre dauern. Während dieser Zeit bleibt der Betroffene vor einer Abschiebung geschützt. Al-Aws empfiehlt: „Schnell die Sprache lernen und eine Aufenthaltserlaubnis für Arbeit beantragen, statt nur Asyl, denn das erhöht die Chancen auf dauerhaften Schutz.“

72 Gründe für Aufenthalt und verschiedene Aufenthaltstitel

Deutschland erkennt derzeit 72 Gründe für eine Aufenthaltserlaubnis an und bietet 72 verschiedene Arten von Aufenthalten. Jede Art von Aufenthalt hat spezifische Anforderungen und Möglichkeiten, zwischen den Typen zu wechseln, abhängig von individueller Lage und Integration.

Politische Diskussion und aktuelle Lage

Die Debatte über Abschiebungen hängt teilweise mit Wahlversprechen der konservativen Regierung unter Friedrich Merz zusammen. Die Aussage, dass die Kriegssituation in Syrien beendet sei, sorgt für Unruhe. Außenminister Johann Wadephul besuchte Anfang November Harasta nahe Damaskus und kommentierte die Zerstörung: „Die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge ist kurzfristig nicht möglich.“ Innerhalb der CDU führte dies zu heftigen Diskussionen.

Die Umsetzung von Abschiebungen liegt in der Verantwortung von Auswärtigem Amt und Innenministerium: Das Auswärtige Amt prüft die Lage vor Ort, das Innenministerium ist für die Ausführung zuständig. Grundsätzlich besteht Einigkeit, dass zunächst „Gefährliche“ und straffällig gewordene Personen abgeschoben werden sollen, was lediglich 0,092% der syrischen Bevölkerung in Deutschland betrifft.

Zahlen und Fakten zu syrischen Flüchtlingen

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben rund 972.460 Syrer in Deutschland, die damit nach Türken und Ukrainern die drittgrößte Gruppe bilden. 83.185 Syrer erhielten 2024 die deutsche Staatsbürgerschaft – die höchste Zahl unter allen Nationalitäten.

Fokus auf Integration und Arbeitsmarkt

Der Altersdurchschnitt der syrischen Bevölkerung in Deutschland liegt bei 26,2 Jahren. 60% sind Männer und 40% Frauen. Etwa 70% befinden sich im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. 31,9% der Syrer waren bis Ende 2023 im Arbeitsmarkt aktiv, ohne die 160.000 neu Eingebürgerten und Selbstständigen zu berücksichtigen.

Männer arbeiten vor allem in Transport, Technik, Gastronomie, Gesundheit und Bauwesen, Frauen in sozialen Diensten, Gesundheit, Gastronomie und Handel. Insgesamt machen Syrer etwa 0,6% der Beschäftigten in Deutschland aus, mit Eingebürgerten steigt der Anteil auf 0,8%. Dies zeigt die Bedeutung ihrer Arbeit in bestimmten Branchen, auch wenn die allgemeine Wirtschaft nur wenig betroffen wäre.

Bildung und akademische Integration

Die Zahl syrischer Studierender an deutschen Universitäten stieg von 1.616 im Jahr 2005 auf 20.710 im Jahr 2023. Dies zeigt das starke Interesse junger Syrer an Bildung und ihre Integration in das deutsche Bildungssystem.

Fachkräftemangel im Gesundheitswesen

Die deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor negativen Folgen einer Abschiebung von syrischen Ärzten und Ärztinnen. Rund 7.000 medizinische Fachkräfte aus Syrien arbeiten in Deutschland, viele in Krankenhäusern. Ein signifikanter Verlust würde die medizinische Versorgung in Deutschland stark beeinträchtigen, insbesondere in kleineren Städten.

Risikogruppen und Priorisierung von Abschiebungen

Die Behörden unterscheiden drei Gruppen von syrischen Flüchtlingen:

  • Freiwillige Rückkehr: 4.000 Syrer kehrten im ersten Halbjahr 2025 freiwillig zurück.
  • Verpflichtet zur Ausreise ohne Abschiebeschutz (Duldung): 920 Personen, nur 0,092% der syrischen Bevölkerung in Deutschland.
  • Verpflichtet zur Ausreise mit Abschiebeschutz: 9.780 Personen, etwa 0,987% der syrischen Bevölkerung.

Die meisten syrischen Flüchtlinge sind nicht von Abschiebungen betroffen. Die Diskussion in der Regierung beschränkt sich auf wenige Hundert Personen, während der Großteil der Syrer legal und integriert in Deutschland lebt.

Fazit: Integration, Chancen und Perspektiven

Huzayfa selbst ist kein Arzt, sondern möchte die deutsche Sprache lernen und seine Integration fortsetzen. Später will er seine Leidenschaft für die deutsche Automobilindustrie verfolgen. Die Interessen der etwa eine Million Syrer in Deutschland sind vielfältig und zeigen, dass die Mehrheit erfolgreich in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert ist. Die Diskussion über Abschiebungen betrifft nur eine kleine Minderheit und sollte nicht zu weitreichender Angst unter der syrischen Bevölkerung führen.

Die aktuelle Lage zeigt, dass Deutschland einerseits auf Sicherheit achtet, andererseits jedoch die Integration und die wirtschaftliche Beteiligung von Flüchtlingen als wichtigen Bestandteil der Gesellschaft betrachtet. Die rechtlichen Möglichkeiten, Beratung und Unterstützung durch Organisationen wie Pro Asyl und andere gewährleisten Schutz für Betroffene, bis endgültige Entscheidungen getroffen werden.

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