Joachim Gauck kritisiert Israels Vorgehen im Gazakrieg und warnt vor neuem Antisemitismus

Berlin – Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat mit deutlichen Worten vor einer wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber dem Antisemitismus in Deutschland gewarnt. In einem ausführlichen Interview mit der Tagesspiegel sprach Gauck über die politische Verantwortung der Bundesrepublik und die moralischen Grenzen der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen. Seine Aussagen fallen in eine Zeit, in der Deutschland den 87. Jahrestag der Reichspogromnacht begeht – ein Ereignis, das symbolisch für das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte steht.

„Antisemitismus hat viele Gesichter – und alle sind gefährlich“

Gauck betonte, dass die deutsche Gesellschaft zu lange nur auf rechtsextreme Formen des Antisemitismus reagiert habe. „Wir haben seit Jahrzehnten Abwehrmechanismen gegen den rechten Antisemitismus entwickelt, und das ist gut. Aber wir haben zu wenig darüber gesprochen, wie Antisemitismus auch aus anderen Quellen gespeist wird“, sagte Gauck. Besonders verwies er auf Strömungen, die aus dem arabischen Raum stammen, und darauf, dass junge Menschen dort häufig mit antisemitischen Vorurteilen aufwachsen, ohne sie zu hinterfragen. „Die Herkunft des Hasses darf keine Rolle spielen – entscheidend ist, dass wir uns ihm entschlossen entgegenstellen“, forderte er.

Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza

Im Zusammenhang mit dem anhaltenden Krieg im Gazastreifen äußerte Gauck klare Kritik an der israelischen Regierung. Er betonte zwar, dass Israel nach den tödlichen Angriffen der Hamas im Oktober 2025 das Recht auf Selbstverteidigung habe, doch die Art und Intensität der militärischen Reaktion habe für ihn moralische Grenzen überschritten. „Ich sehe das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza mit großer Sorge“, erklärte der Altbundespräsident. Besonders die rechtsextremen Parteien, auf die Premierminister Benjamin Netanyahu angewiesen sei, würden „eine arrogante und menschenverachtende Haltung gegenüber den Palästinensern“ zeigen, die ihn abstoße. „Ich bin froh, derzeit nicht nach Israel reisen zu müssen“, fügte er hinzu.

Europa zwischen Erinnerung und Verantwortung

Die Worte Gaucks haben in Deutschland eine breite politische Debatte ausgelöst. Politiker verschiedener Parteien äußerten Verständnis, aber auch Kritik an seiner Position. Während konservative Stimmen seine moralische Haltung würdigten, warfen linke Gruppen ihm vor, „den Kontext israelischer Selbstverteidigung zu verkennen“. Dennoch spiegelt Gaucks Mahnung eine wachsende Sorge wider, dass die deutsche Erinnerungskultur angesichts globaler Konflikte an Gewicht verliert. Auch innerhalb der CDU gibt es Stimmen, die vor einer Vermischung von außenpolitischen Konflikten und innenpolitischen Spannungen warnen.

75 Jahre nach der Reichspogromnacht – die Warnung bleibt aktuell

Der deutsche Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer warnte anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht vor einer „Rückkehr des Hasses im neuen Gewand“. In seiner Erklärung betonte er, dass die Ereignisse vom 9. November 1938 nicht nur historische Erinnerung seien, sondern „eine Mahnung an unser Gewissen“. Wenn heute Synagogen wieder bewacht werden müssen und jüdische Kinder nur unter Polizeischutz zur Schule gehen können, „dann ist das ein Alarmzeichen für die Demokratie“. Weimer rief dazu auf, den Gedenktag als Symbol für Solidarität und Vielfalt zu begreifen – und als Verpflichtung, Antisemitismus in jeder Form entschieden zu bekämpfen.

Gesellschaftliche Spannungen und politische Verantwortung

Parallel dazu wächst in Deutschland die Diskussion über Integration, kulturelle Identität und politische Verantwortung. Laut aktuellen Forderungen der Bundesregierung wird auch über die Rückführung bestimmter Geflüchtetengruppen debattiert – ein Thema, das die gesellschaftliche Spaltung weiter vertieft. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte kürzlich zu mehr Dialog mit arabischen Stimmen aufgerufen, um Missverständnisse zu überwinden und gemeinsame Werte zu stärken.

Fazit

Joachim Gaucks Worte sind eine eindringliche Mahnung: Antisemitismus – egal aus welcher Richtung – bedroht den Kern der Demokratie. Seine Kritik an Israels Vorgehen im Gazakrieg mag umstritten sein, doch sie offenbart eine moralische Haltung, die an Deutschlands historische Verantwortung erinnert. In Zeiten globaler Polarisierung und wachsender Feindbilder bleibt Gaucks Botschaft klar: „Die Würde des Menschen ist unantastbar – für alle, überall.“

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