Koalitionskrise in Berlin: Schwarz-Rot unter Druck – Reformen stehen auf der Kippe

Berlin – Die Stimmung in der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD ist angespannt. Die Umfragewerte zeigen nach unten, die Fliehkräfte innerhalb und zwischen den Parteien nehmen zu, und die für die Bevölkerung wichtigen Reformen geraten zunehmend ins Stocken. Ein Schlaglicht auf die aktuelle Lage wirft die Frage: Kann Schwarz-Rot trotz innerer Spannungen die dringend benötigten Gesetzesänderungen noch durchbringen?

Vertrauensverlust und innerer Druck

Jens Spahn, CDU-Politiker und ehemaliger Gesundheitsminister, machte bereits im Vorfeld eines wichtigen Bundestagstages deutlich, wie groß der Druck auf die Koalition ist. In einem Interview mit Politico erklärte Spahn: „Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam. Im Moment verlieren wir gemeinsam, die Umfragen sind brutal.“ Er fügte hinzu: „Der Vertrauensverlust ist groß, die Erwartungshaltung hoch, die Skepsis immens.“

Mit diesen Aussagen wollte Spahn offenbar vor allem die eigene Fraktion, aber auch die SPD-Abgeordneten aufrütteln. In den vergangenen Tagen war kaum erkennbar, dass beide Parteien in einer Regierungskoalition arbeiten. SPD-Politiker kritisierten Kanzler Friedrich Merz scharf wegen seiner „Stadtbild“-Äußerung, die bewusst rassistische Narrative bediene. Die Union sprach hingegen von einem „Empörungszirkus“.

Die harten Vorwürfe spiegeln eine tieferliegende Entfremdung innerhalb der Koalition wider. Die vergangenen Monate hinterlassen ihre Spuren, und die schlechten Umfragewerte verstärken die Nervosität. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die tägliche Arbeit der Fraktionen.

Fliehkräfte innerhalb der Union

Die Spannungen innerhalb der CDU sind deutlich sichtbar. Erst kürzlich bildete sich die Gruppierung „Compass Mitte“, die die Richtung unter Friedrich Merz kritisch hinterfragt. Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der CDU, erklärte in der Zeit, dass die Union Gefahr laufe, ihren Wertekompass zu verlieren, wenn sie sich nur noch als konservative Partei verstehe. „Der soziale und liberale Teil der Union muss sichtbarer werden“, so Polenz. Er betonte, dass die Konzentration auf Migrationsthemen zu einseitig sei und die CDU ihre gesellschaftliche Breite wieder stärker zeigen müsse.

Bisher ist die neue Gruppierung jedoch keine Massenbewegung. Aus der Bundestagsfraktion unterstützt bislang nur Roderich Kiesewetter die Initiative. Viele Liberale schätzen es zwar, dass Merz die CDU klar von der AfD abgrenzt, Klimaziele unterstützt und überparteilich spricht – doch kritische Stimmen bleiben.

Fronten verhärten sich beim Wehrdienst

Auch die SPD kämpft mit internen Konflikten, insbesondere beim neuen Wehrdienstmodell. Vor zwei Wochen kam es zu einem Eklat: Ein von Fachpolitikern ausgehandelter Kompromiss wurde von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kurzfristig gestoppt. Pistorius argumentierte, das Modell reiche nicht aus, um Deutschland schnell verteidigungsbereit zu machen.

Gleichzeitig kritisierten linke SPD-Abgeordnete das vorgeschlagene Zufallsverfahren bei der Wehrpflicht. Teile der Fraktion fürchteten, dass ein großer Anteil junger Menschen gegen ihren Willen eingezogen werden könnte. Die SPD pocht daher auf Freiwilligkeit, gestützt auf Beschlüsse des Parteitags, die vor allem von der Juso-Jugendorganisation initiiert wurden.

Der Konflikt läuft auf mehreren Ebenen und zeigt, wie schwer es ist, Union und SPD auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Fronten scheinen verhärtet, und Kompromisse sind nur schwer möglich.

Rentenreform in Gefahr

Ähnlich angespannt ist die Lage bei der geplanten Rentenreform. Die Junge Gruppe innerhalb der Union hat sich offen gegen den Gesetzentwurf gestellt, obwohl das Kabinett das Gesetz bereits verabschiedet hat. Die 18 jungen Abgeordneten könnten die Reform im Bundestag blockieren, wenn sie nicht zustimmen. Weitere Unionspolitiker kritisieren, dass das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festgeschrieben wird, aber darüber hinaus unsicher bleibt. Pascal Reddig, Vorsitzender der Jungen Gruppe, sprach von einer „schweren Hypothek für die junge Generation“.

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt hält dagegen und bezeichnet die Kritik der Union als „Generationentäuschung“. Sie betont, dass die Beiträge heute gezahlt werden, um morgen eine stabile Rente zu erhalten. In den Talkshows verteidigen Vertreter beider Parteien weiterhin ihre Positionen, und eine Annäherung ist bislang nicht in Sicht.

SPD-Rebellion beim Bürgergeld

Widerstand droht Schwarz-Rot auch bei der Bürgergeldreform. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) legte ihren Entwurf intern vor, schon formierte sich ein Mitgliederbegehren gegen die geplanten Änderungen. Kritiker werfen der SPD vor, „Armut zu bestrafen“, da das Bürgergeld künftig strenger sanktioniert und in „Grundsicherung“ umbenannt werden soll.

Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem Juso-Chef Philipp Türmer, Europaabgeordnete Maria Noichl und der frühere Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz. Damit ein Mitgliederbegehren startet, müssen mindestens ein Prozent der Parteimitglieder nach zwei Monaten unterschrieben haben, anschließend entscheidet ein Fünftel innerhalb von drei Monaten über die Umsetzung. Die SPD-Spitze setzt darauf, dass das Votum scheitert.

Koalition auf wackeligen Beinen

Die Rebellion innerhalb der SPD könnte die Haltbarkeit der Koalition gefährden. Die Union würde ein Abweichen von den vereinbarten Reformen nicht akzeptieren. Auch Wehrdienst und Rente dürfen nicht scheitern. Die Spitzen von Union und SPD wissen um die Brisanz, doch ob sie ihre Abgeordneten zu schmerzhaften Kompromissen bewegen können, bleibt unklar.

Fazit

Schwarz-Rot steht unter massivem Druck: schlechte Umfragen, interne Konflikte und Widerstände gegen Reformen erschweren die Regierungsarbeit. Die Fliehkräfte innerhalb der Union, die Rebellion in der SPD, verhärtete Fronten beim Wehrdienst und ungelöste Fragen zur Rentenreform zeigen, wie instabil die Koalition derzeit ist. Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, ob die Regierung handlungsfähig bleibt oder ob die Koalition weiter unter Druck gerät.

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